02/07/2024 0 Kommentare
Du bist ein Gott, der mich sieht.
Du bist ein Gott, der mich sieht.
# Auf ein Wort ...
Du bist ein Gott, der mich sieht.
Liebe Lesende,
am Pfarrhaus der Kirchengemeinde meiner Kindheit und Jugendzeit steht in großen alten Buchstaben: Du Gott siehest mich.
Gefragt habe ich mich immer, für wen dieser Vers aus der Bibel da steht. Für den:die Pfarrer:in, der:die in diesem Haus wohnt. So quasi als Mahnung zur Ordnung: Achtung, Gott sieht alles, was in diesem Haus passiert. Oder doch eher für die Vorübergehenden. Als Erinnerung der Kirche: Gott sieht euch, er sieht alles, was ihr macht, was in dieser Gemeinde passiert oder eben auch nicht passiert.
Das Pfarrhaus stammt aus dem 19. Jahrhundert und ebenso lang stehen diese Worte da über dem Eingang: Du Gott siehest mich. Bei der Sanierung vor ein paar Jahren wurde überlegt, ob diese Worte wieder an die Fassade geschrieben werden sollen.
Immerhin kann ja in der heutigen Zeit solch ein Spruch auch falsch verstanden werden. In Zeiten einer allgegenwärtigen Videoüberwachung auf Plätzen, in Straßen und öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln dann auch noch die Erinnerung daran, dass Gott uns beobachtet?!? Big Brother (oder Father) is watching you?!? Du Gott siehest mich.
Du bist ein Gott, der mich sieht. Das sind die Worte der Jahreslosung, die uns durch das Jahr 2023 begleiten sollen. Du bist ein Gott, der mich sieht. Eine ganz andere Dimension, einen ganz anderen Klang erhalten diese Worte, wenn ich die Geschichte lese, aus der sie stammen – Gen 16,1-15: Hagar, die ägyptische Magd und Leihmutter für Sarai, ist schwanger vom Stammvater Abram. Sie hat Streit mit ihrer Herrin. Hagar ist unglücklich mit der Situation, hat Angst um ihr Kind. Hagar flieht in die Wüste, erlebt eine echte Wüstenzeit.
Eine Wüstenzeit – wer von uns hat nicht auch schon einmal eine erlebt? Eine Zeit, in der alles irgendwie schief geht, man Angst hat, nicht weiter weiß. Man sich schutzlos, alleingelassen, nicht angesehen fühlt.
Du bist ein Gott, der mich sieht. Hagar wird von Gott angeschaut. Mitten in der Wüste, mitten in ihrer Wüstenzeit kommt ihr Gott – der für sie fremde Gott – ganz nah. Gott sieht sie und ihre Not. Gott sieht Hagar und ihre Angst, ihren Streit. Durch einen Engel fordert Gott sie auf, umzukehren. Und er gibt ihr die Zusage, dass ihr Kind leben wird und die Nachkommen zahlreich werden.
Gottes Wort kommt zu ihr als zärtlicher Klang der Stimme eines Engels. Gottes liebevoller Blick sieht die Not der Magd Hagar. Du bist ein Gott, der mich sieht. Ganz anders als die kalten, leblosen Kameras an Plätzen und in den Verkehrsmitteln.
Du bist ein Gott, der mich sieht. – Liebevoll wie eine Mutter oder ein Vater, voller Hingabe und Achtung. Du bist ein Gott, der mich sieht. Die Ägypterin Hagar erkennt den Gott Israels als einen Gott, der sie anschaut, sie hört und sich um sie sorgt. Sie gibt ihm den Namen Du bist ein Gott, der mich sieht.
Du Gott siehest mich. Ist eine Erinnerung. Du bist ein Gott, der mich sieht. Ist eine Erinnerung für mich und für jede:n, die:der diese Worte liest oder hört. Eine Erinnerung an einen Gott, der mich, der jede:n von uns liebevoll anschaut und achtet. Eine Erinnerung an unseren Gott, dem wir vertrauen dürfen an allen Orten und zu allen Zeiten.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade in Wüstenzeiten, mir diese Erinnerung gut tut. Da ist einer, der mich sieht und mich hört. Gott, der mich anschaut und mein Gebet hört. Ja, gerade in Wüstenzeiten brauche ich diese Erinnerung an die Erfahrungen anderer mit Gott, dass meine Beziehung zu ihm wieder gestärkt wird.
Wie ist Gottes Blick auf mich? Wie fühle ich mich in dieser Welt angesehen? Fragen zum Nachdenken, zum Meditieren. Immer mal wieder …
Du Gott siehest mich. – eine Erinnerung an der Fassade des Pfarrhauses für alle, die vorüber, hinaus- und hineingehen. Du bist ein Gott, der mich sieht. – die Erinnerung an Gott, der mich anschaut.
Uns allen ein gesegnetes Jahr 2023 mit einem Gott, der uns anschaut, wünscht
Pfarrer Sebastian Gebauer
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